Mehr Nachhaltigkeit für die Wissenschaft

Evelyn Medawar vom Max Planck Sustainability Network im Gespräch mit Redakteurin Hannah Pöhlmann zu Anregungen und Maßnahmen für eine nachhaltigere Wissenschaft.
Markus Spiske via Unsplash

Das Max Planck Sustainability Network hat sich zum Ziel gesetzt die Forschungspraktiken innerhalb der Max-Plack-Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit weiterzudenken und damit als Vorbild für andere wissenschaftliche Organisationen zu fungieren. Dazu beantwortet uns Evelyn einige Fragen.

Hannah Pöhlmann
Freie Autorin

Hallo Evelyn, freut mich, dass wir uns heute über Nachhaltigkeit in der Wissenschaft unterhalten. Vorab würde ich gern zum besseren Verständnis von dir hören, was nachhaltige Wissenschaft für dich bedeutet.

Evelyn Medawar
Gastautorin

Nachhaltigkeit ist ein sehr komplexes Konstrukt, welches sich vor jeder Konversation und v. a. Diskussion lohnt zu definieren. Als MPSN (Max Planck Sustainability Network) engagieren wir uns zuallererst für einen nachhaltigen Wissenschaftsbetrieb. D. h., dass alle Aktivitäten, die mit unserer Forschung zusammenhängen, auf ihren Klimabeitrag hin geprüft werden sollen. Wir versuchen die größten Felder zu identifizieren und so gut es geht deren Klimabeitrag mit Zahlen festzustellen; gleichzeitig erarbeiten wir Empfehlungen, wie wir nach jetzigem Wissensstand unseren ökologischen Beitrag bereits jetzt reduzieren können.
Für mich umfasst nachhaltige Wissenschaft weitergehend, jenseits der ökologischen Nachhaltigkeit, auch die ökonomische und mentale Nachhaltigkeit. Es gibt viele ineffiziente, sprich ressourcenstarke Aktivitäten und Strukturen in der Wissenschaft, die wir durch effizientere und nachhaltigere Alternativen ersetzen können und sollten. Viele Doktorand*innen fangen neue Projekte an, etablieren neue Methoden und laufen in bereits bekannte Probleme. So werden oftmals materielle und personelle Ressourcen unnötigerweise verbraucht.

Hannah Pöhlmann
Freie Autorin

Du engagierst dich im Max Planck Sustainability Network. Was macht ihr da?

Evelyn Medawar
Gastautorin

Die Mitglieder des Max Planck Sustainability Networks (MPSN) fühlen sich moralisch verpflichtet, sich mit den ökologischen Folgen ihrer Arbeit auseinanderzusetzen und den Übergang zu einem nachhaltigeren Forschungsumfeld zu vollziehen. Die Umgestaltung von Organisationen in Richtung nachhaltigerer Organisationen aus der Perspektive des Arbeitgebers hat in letzter Zeit viel Interesse geweckt. Das MPSN hat sich daher das zweifache Ziel gesetzt, die Forschungspraktiken innerhalb der gesamten MPG nachhaltiger zu gestalten  und die lokalen Nachhaltigkeitsgruppen dabei zu unterstützen, den ökologischen Fußabdruck der Forschungspraktiken an ihren einzelnen Instituten zu verringern. Die langfristige Vision des Netzwerks ist einerseits, Nachhaltigkeit bewusst zu fördern und den Betrieb von Forschung und Verwaltung in der MPG in Richtung eines nachhaltig arbeitenden Systems zu optimieren und andererseits, Vorbild für andere wissenschaftliche Organisationen zu werden und diese zu inspirieren nachhaltiger zu werden.

Als Netzwerk versuchen wir sowohl auf lokaler Ebene mit den Nachhaltigkeitsgruppen als auch auf struktureller Ebene in der MPG mehr Bewusstsein für Nachhaltigkeit und die Klimakrise zu erwirken und konkrete Veränderungen hin zu einem umweltfreundlicheren Wissenschaftsbetrieb umzusetzen. Dabei sind uns Wissenstransfer, Erfahrungsaustausch und eine Kommunikation zwischen Generalverwaltung, Verwaltungsmitarbeitenden und Wissenschaftler*innen sehr wichtig, um alle einzubeziehen und eine größtmögliche Unterstützung der Maßnahmen zu erhalten.

Wir haben vier Hauptfelder identifiziert: Energie, Mobilität, Versorgung und Entsorgung sowie Biodiversität und Ernährung. Zudem streben wir eine möglichst genaue Bezifferung des Klimaimpacts unserer Forschungsinstitutionen an.

Hannah Pöhlmann
Freie Autorin

Und was habt ihr bisher erreicht?

Evelyn Medawar
Gastautorin

Wir haben uns offiziell im Mai 2019 gegründet und seitdem verschiedene Aktivitäten verfolgt:

- Eine Kampagne zur Selbstverpflichtung zur Vermeidung von Kurzstreckenflügen: Ca. 480 Mitarbeitende haben sich dazu verpflichtet, auf Kurzstreckenflüge (max. 1000 km Entfernung) zu verzichten, sofern das Ziel innerhalb von weniger als zwölf Stunden mit der Bahn erreicht werden kann.

- Ein Positionspapier zur Problematik von CO2-Emissionen durch Dienstreisen wurde durch das Netzwerk erarbeitet und von mehreren wissenschaftlichen Mitgliedern der MPG unterstützt.

- Eine Stellungnahme mit Scientists 4 Future an die DFG zur Exzellenzstrategie „Nachhaltigkeit im Fokus“ verfasst. Hier wurden Empfehlungen an die DFG herangetragen, mit der zentralen Idee, den Nachhaltigkeitsgedanken in die Auswahlkriterien für die finanzielle Förderung über die Exzellenzstrategie aufzunehmen und umfassende Nachhaltigkeitsstrategien fortan für Universitäten und Einrichtungen verpflichtend zu machen.

- Das jährliche deutschlandweite MPSN-Treffen wurde in 2020 zu 100% virtuell mit 100+ Teilnehmenden durchgeführt. Der Fokus lag auf dem Thema „Climate Change of Mind“. Es wurden Gastredner*innen zum Thema Umweltpsychologie eingeladen. Außerdem gab es eine Vielfalt an Workshops zu praktischen Themen zur Umsetzung von Umweltthemen im akademischen Betrieb der MPG. Des Weiteren ging es auch um strategische Fragen, z. B. wie man über philosophische und psychologische Diskussionen zu Umweltschutz hinführen kann.

- Mitglieder des Interim-Steuerkreises (Mai 2019 – Mai 2020) sowie des ersten demokratisch gewählten Steuerkreises (seit Mai 2020) verfassten einen gemeinsamen Artikel zur Mission des MPSN, der nach einem Peer-Review-Verfahren in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Frontiers in Sustainability“ im September 2020 veröffentlicht wurde.

- Mitglieder des MPSN um Knud Jahnke veröffentlichten die Ergebnisse des CO2-Assessments am MPI für Astronomie in Heidelberg im September 2020 im Fachmagazin „Nature Astronomy“.

Hannah Pöhlmann
Freie Autorin

Sehr gut! Ihr habt ja schon eine ganze Reihe an Maßnahmen angestoßen und umgesetzt. Kannst du uns auch einen groben Überblick über eure Ziele für das Jahr 2021 geben?

Evelyn Medawar
Gastautorin

Wir wollen einige konkrete Maßnahmen umsetzen:

- Ein CO2-Assessment der gesamten MPG und  die Kompensation von nicht-vermeidbaren Flügen.

- Den Ausbau von Webinaren für alle Mitarbeitenden der MPG und eine öffentliche Vorlesungsreihe zu „Nachhaltigkeits- und Umweltforschung in der MPG". Weitere Vernetzung mit außeruniversitären und internationalen Nachhaltigkeitsinitiativen, wie Labos1point5, der Helmholtz-Klimainitiative etc.

Hannah Pöhlmann
Freie Autorin

Vielen Dank fürs Gespräch, Evelyn, und viel Erfolg für die Umsetzung der Ziele!