Rosen und Mensabier

Fünftausend Promovierende gibt es in Heidelberg. Viele von ihnen sind in Gruppen organisiert. Wie geht es da zu? Unsere Autorin war dabei.
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Nur nicht depressiv werden

Wer sich zu dieser unstudentischen Uhrzeit trifft, muss es ernst meinen: Um neun Uhr an einem Mittwochmorgen sitzen vier Menschen zwischen Ende zwanzig und Anfang vierzig an einem Tisch im Café Mildners. Ein fünfter stößt dazu, etwas zu spät, murmelt etwas von Kita. Sie sind Promovierende und Postdocs und haben vor gut einem Jahr eine Mittelbau-Initiative gegründet.

Im ersten Moment denke ich: Ein bisschen ironisch ist das schon, sich in einem Berlin-Mitte-mäßig durchgestylten Café zu treffen, wenn es einem doch eigentlich um den ungeschönten Blick auf die Welt geht. Auf die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, um genau zu sein. Der Ort des Treffens, erfahre ich später, ist aus pragmatischen Gründen gewählt, er liegt halt direkt gegenüber dem Campus. Überhaupt wird hier in einer Stunde – zwischen Kinder zur Kita bringen und Vorlesungen halten – pragmatisch und schnell gearbeitet.

Eine Infoveranstaltung zur Situation des Mittelbaus steht an. Die Initiative hat dazu eine Umfrage durchgeführt, und nun geht es darum, zu organisieren und Entscheidungen zu treffen. Das geschieht effizient – und doch ist das Treffen auch eine emotionale Angelegenheit, nicht nur ein bürokratischer Akt. Von „Arbeitskampf“ ist die Rede, von „Lehrbeauftragtenproletariat“ und „vormodernen Arbeitsbedingungen“. Polit-Vokabular, irgendwo zwischen Pathos und Selbstironie. Dass man selbst die Arbeitsverträge unterzeichnet hat, die man als ausbeuterisch empfindet, ist dieser Runde durchaus bewusst.

Die Initiative wünscht sich mehr demokratische Mitbestimmung des Mittelbaus und bessere Arbeitsbedingungen, vor allem weniger Befristungen. Genauer haben sie das noch nicht formuliert. „Wir wollen erst einmal eine Struktur schaffen, damit der Mittelbau über seine Probleme reden kann. Worüber genau, ist ergebnisoffen“, sagt einer der Doktoranden.

Ob sie nicht befürchten, das Professoren-Establishment gegen sich aufzubringen? „Die Aussichten auf eine Professur sind so schlecht, dass es ohnehin keinen Unterschied macht“, sagt ein Postdoc. Seiner Meinung nach gibt es drei Möglichkeiten: die Uni verlassen, depressiv werden, oder sich engagieren. „Es kann doch nicht sein, dass an einer Uni, einem Ort, wo alle so sehr darauf stehen, kritisch zu sein, bei diesen Arbeitsbedingungen kein Protest entsteht“, sagt ein anderer, „sogar die Deliveroo-Fahrer sind besser organisiert und streiken“. Dann muss er los, eine Vorlesung halten.

Mächtige Freunde

Vor drei Jahren wurden an Baden-Württembergs Hochschulen Doktorandenkonvente eingerichtet. Die Vertreter sind demokratisch gewählt, in Heidelberg öffnen sie sich einmal im Monat ihrem Wahlvolk. Dann hören sie bei einem Stammtisch zu, stehen Rede und Antwort.

Im Vergleich zu den utopisch gesinnten Initiativen-Mittelbauern wirkt der Konvent eher wie ein Gemeinderat. Und das nicht nur, weil die fünf Typen um die dreißig, die mit ihren Rädern, Outdoorjacken und Rucksäcken zum Konvents-Stammtisch vorfahren, eine gewisse Bodenständigkeit ausstrahlen: Der Doktorandenkonvent widmet sich nicht der großen Politik, sondern allen Aspekten, die die Promovierenden ganz direkt betreffen.

20 Uhr. Die jungen Männer, die gerade von der Vorstandssitzung kommen, stellen ihre Räder an der naturwissenschaftlichen Mensa ab, suchen einen geeigneten Biertisch und hängen A4-Zettel auf, damit man sie findet. Aus ihren Rucksäcken kramen sie Schoko-Crossies und Gummibärchen, holen Mensabier.

Es geht los: Zwei junge Frauen nehmen gegenüber den Konventsvertretern Platz, man stellt sich gegenseitig vor. Gesprochen wird Englisch, denn viele, auch im Vorstand, kommen nicht aus Deutschland. Die beiden Frauen sind zunächst etwas skeptisch, ob die Jungs mit Käppi und Vollbart ihnen helfen können. Als diese jedoch ein wenig näher erklären, was sie so tun und dass sie in regelmäßigem Austausch mit der Hochschulleitung stünden, scheinen die Frauen anzufangen, sich gut aufgehoben zu fühlen. Das Eis ist gebrochen, als einer mit einem Schmunzeln hinzufügt: „Wir haben mächtige Freunde.“

Nachdem auch ich versichere, dass „in der Presse“ nichts Genaueres über ihr Anliegen stehen wird, erzählen die Frauen von unfairer Behandlung an ihrem Institut. Die Promovierendenvertreter nicken, fragen nach, schreiben mit und überlegen, ob den beschriebenen Missständen ein verwaltungstechnisches Problem zugrunde liegt oder wissenschaftspolitisches Kalkül. Sie versprechen, sich zu kümmern, und erläutern, wer zu diesem Zweck wen anrufen wird – und wirken dabei nicht so, als sei das ein leeres Versprechen.

Sie machen diesen Job ehrenamtlich. Warum? „Ich mag es, Verantwortung zu übernehmen. Außerdem lernt man, wie Politik funktioniert“. Ein anderer, ganz Gemeinderat: „Einer muss es ja machen“. Bevor sie gehen, verteilen die gewissenhaften jungen Männer die letzten Schoko-Crossies nach allen Regeln der Gleichheit und Fairness.

Schokolade im Gewitter

Vor meiner Doktorandengruppen-Safari habe ich bei vielen Förderwerken angefragt; umgehend gemeldet hat sich nur das Evangelische Studienwerk Villigst. Die Villigst-Stammtische vor Ort richten sich an alle Stipendiaten, also Studierende und Doktoranden. Letztere kommen aber selten – das ist hier nicht anders als bei anderen Stiftungen. Ein Doktorand sagt mir, er glaube, das liege daran, dass man als Promovierender ohnehin schon dauernd auf Fachkonferenzen sei. Das Bedürfnis nach Austausch sei damit schon mehr als genügend befriedigt.

An diesem Sonntagabend ist das ein bisschen anders, diesmal sind Doktoranden dabei. Sie wurden auf Wunsch der studentischen Stipendiaten eingeladen und sollen ihre Arbeiten vorstellen. Und so treffen sechs Studenten und zwei Doktoranden in einem Raum des Studierendenrats zusammen. Man trägt Flipflops, Blümchenkleider, und überhaupt scheint hier gerade jeder vom Strand zu kommen. Nach dem – protestantisch-verantwortungsvoll vegetarischen – Pizzaessen sortiert man sich im Halbkreis.

Vorstellungsrunde: Einer nach dem anderen soll erzählen, was er zuletzt für ein niedliches Tierchen gesehen hat. Dann geht’s los mit den Vorträgen, man legt die Beine hoch und lauscht. Einer der beiden Doktoranden beginnt von seinen umweltphysikalischen Forschungen in der Antarktis zu erzählen. Eine Tafel Schokolade macht die Runde, draußen tobt ein Sommergewitter und hier drinnen wirkt alles so selig und familiär, dass ich ganz vergesse, eigentlich nicht dazuzugehören.

Zwischendurch registriere ich verwundert, dass einige der Studierenden Fragen zu den Messmethoden stellen, also durchaus verstehen, was der Physiker da erzählt. Als er am Ende Bilder von Pinguinen zeigt, wird es wieder ein bisschen lebhafter, und ich bin nicht die Einzige, die aus der Schokoladenseligkeit erwacht. Danach stellt eine zweite Doktorandin, eine Germanistin, ihr Projekt vor, und die Rollen vertauschen sich. Wer vorhin wenig verstand, tut es jetzt. „Bist du da nicht frustriert, wenn du nie beweisen kannst, ob das Sinn macht, was du denkst?“, fragt eine Studentin. Am Ende sind vier Stunden vergangen.

Die Performance zählt

„Man sollte ja meinen, Stanford sei etwas Besonderes. Aber in Wirklichkeit ist das da gar nicht so fortschrittlich.“ So klingen Gesprächsfetzen von einer Gartenparty im Palais Boisarée. Die Graduiertenschule für Geistes- und Sozialwissenschaften hat zum Sommerfest geladen. Man trägt Namensschildchen, Cocktailkleidchen zu Ballerinas, produziert eifrig Selfies und spricht über seine Praktika.

Das Palais Boisarée, eine Art Stadtschlösschen, beherbergt das Germanistische Institut und einen kleinen Garten voller Geranien und Rosentöpfe. Hier tummeln sich zwei Dutzend Promovierende und ein halbes Dutzend Professoren und Organisatoren, knabbern an Mini-Hamburgern in Aprikosen-Größe, zu Schnecken aufgedrehten Pfannkuchenstückchen und nippen an Weingläsern.

Normalerweise bietet die Graduiertenschule Kurse und Kolloquien für den interdisziplinären Austausch, der Großteil der Mitglieder kommt aus dem Ausland. Einige scheinen sich davon Karrierevorteile zu erhoffen, andere suchen vor allem Kontakte. Eine Koreanerin sagt, dass es schwer sei, andere Leute kennenzulernen. Eine andere, dass sie hofft, heute Leute zu treffen, mit denen sie über ihre Dissertation reden kann.

Stattdessen setzt sich ein Professor an unseren Tisch und erzählt, worum es beim Doktorandendasein seiner Meinung nach wirklich geht. Einerseits solle man „ein Leben haben“, andererseits „Leistung zeigen“. Diese Veranstaltung ist dann wohl der Versuch, beides zeitgleich zu erledigen.

Heidelberg High School

„Wenn man gemeinsam etwas unternimmt und anderen hilft, lernt man leichter neue Leute kennen“, sagt ein Doktorand beim Barbecue in der Jugendherberge. Er ist freiwilliger Helfer beim „Rise“-Treffen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD).

Rise ist ein Programm, das mehrere Austauschprogramme anbietet, unter anderem eines, das überwiegend nordamerikanische Studenten aus naturwissenschaftlichen Fächern für Praktika an deutsche Hochschulen holt. An diesem Wochenende sind über 300 solcher Studenten nach Heidelberg gekommen, um sich gegenseitig ihre Projekte vorzustellen und sich kennenzulernen. Dafür hat der DAAD eine Hand voll Doktoranden gefunden, die helfen.

Einer der Helfer sagt, er habe an seinem Institut schon ein paar Mal die Unterstützung von Rise-Praktikanten genossen und wolle etwas zurückgeben. Die Rolle, die den Promovierenden hier und im Rahmen des gesamten Projektes zukommt, ist für viele noch ungewohnt. Eine von ihnen meint, dass sie sich schlecht gefühlt habe, unter zehn sehr guten Bewerbern nur eine ausgewählt zu haben.

Ein anderer sagt, er habe sogar mehr als 50 Bewerber gehabt, und sitzt dabei in einem schwarzen Lederimitatsessel in der Lobby der Jugendherberge. Lautes Lachen schallt durch die Gänge und junge Amerikaner, die das in ihrer Heimat noch gar nicht dürften, trinken Radler. Akademische Konferenzen können sich, das nehme ich von diesem Abend mit, manchmal wie eine amerikanische High-School-Serie anfühlen.