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Doktorarbeiten sind dröge und eignen sich nicht als Gesprächsstoff für Party-Smalltalk? Diese fünf Dissertationsthemen beweisen das Gegenteil.
Ugur Akdemir/Unsplash

Computerspiele im Religionsunterricht als Beitrag zum Dialog mit jugendlichen Lebenswelten

Thimo Zirpel, Universität Münster. Die Dissertation findest du hier.

Thimo, du hast mit „World of Warcraft“ in deiner Dissertation gearbeitet. Wie kann man damit Jugendliche für Religion begeistern?

„Ein Video war eines der ausschlaggebenden Erlebnisse dafür, dass ich diese Arbeit schreiben wollte. Virtuelle Welten – gerade die sehr auf langfristige Zusammenarbeit ausgerichteten MMORPGs (Massively Multiplayer Online Role-Playing Games) – bieten die Möglichkeit, die eigene Realität zu erweitern. So manches Mal führen sie Menschen zusammen, die sich sonst nie kennengelernt hätten. Deshalb gibt es in diesen Welten auch Aufnahmerituale, Hochzeiten und Begräbnisse. Ein extremes Beispiel ist auch, wenn eine solche Welt ‚stirbt‘, weil der Hersteller die Server abschaltet: Apocalypse Now! In solchen Situationen kommen Spielerinnen ins Grübeln, erleben sogenannte kleine und große Kontingenzerfahrungen, die weit über den Alltag hinausgehen und sich mit normalem Vokabular nicht in Worte fassen lässt. Sie werden von sich aus religiös aktiv, auch wenn sie es oft selbst anders sehen. Kurz: Für Kinder und Jugendliche steckt viel in den Spielen, was historisch gesehen in den Bereich der Religion fällt.“

Wo wir bei der Religion sind: In punkto Games mit religiösen Konnotationen ist „The Binding of Isaac“ mein persönlicher Favorit. Kennst du das?

„Ja. Wie der Titel schon verrät, hat es viel mit der gleichnamigen Geschichte ‚Bindung des Isaak‘ (Gen 22, 1–19) zu tun. Das Gameplay spiegelt vor allem den inneren Kampf Isaaks gegen seine ihn unterdrückende Mutter, die Selbstzweifel und Schuldzuschreibungen wider. Spannend finde ich vor allem, dass die vielen möglichen Enden so große Spekulationen innerhalb der Spielerschaft angeregt haben: Was ist denn nun wirklich los mit Isaak? Erstaunlicherweise halten trotz der Rahmengeschichte viele die Geschichte nicht für eine Kampfansage in Richtung religiöser Fanatiker, sondern eher für eine Möglichkeit, eine Geschichte von destruktiven Beziehungen aufzuarbeiten. Ganz so weit weg ist das dann nicht vom biblischen Original. Dort geht es nicht zuletzt um eine Abrechnung mit alten Vorstellungen von Gott-Mensch-Beziehungen, in denen Gott rücksichtslos fordert, herrscht und unterdrückt. Abraham erkennt dabei am Ende, dass der biblische Gott keine Menschenopfer will, sondern ein menschenfreundlicher Gott ist.“

Du bist Lehrer. Funktioniert bei deinen Schülern die Ausrede, dass sie sich auf die Schularbeit nicht vorbereiten konnten, weil sie sich gestern beim Zocken stundenlang mit wichtigen ethischen Fragestellungen auseinandersetzen mussten?

„Zocken wäre die perfekte Ausrede, aber gelten lasse ich sie trotzdem nicht. Mein Ziel ist es stattdessen, dass die Schülerinnen und ich zusammen beim Spielen und beim Austausch darüber etwas lernen. Als Englisch- und Religionslehrer ist für mich das beste Beispiel ‚Life Is Strange‘. Gerade für eine Altersgruppe ab 14 Jahren sind darin so viele spannende Themen enthalten, über die sich wunderbar während des Englisch- und Religionsunterrichts ins Gespräch kommen lässt: Mobbing, Suizid, Schulstress, die erste Liebe. Frei nach dem Motto: ‚Hör nicht auf zu lernen!‘ anstatt ‚Hör auf zu spielen!‘.“

Der Transfer von Lizenzfußballspielern und seine Versicherung

Jonas Stadtmüller. Das Buch ist 2018 im Verlag Dr. Kovač erschienen.

Jonas, sind Profifußballer eigentlich ganz normale Angestellte?

„Diese Frage ist unter Juristen umstritten. Das Bundesarbeitsgericht und die weit überwiegende Meinung in der juristischen Literatur geht bei Lizenzfußballspielern von einer Arbeitnehmereigenschaft aus.“

Wenn ein Brasilianer von Spanien nach Deutschland wechselt – welches nationale Recht gilt?

„In der Praxis stellt sich diese Frage in aller Regel nicht, da sich im Transfervertrag eine sogenannte Rechtswahlklausel findet, das heißt eine Klausel, die besagt, welches Recht anwendbar ist. Auch die Regelungen des Weltfußballverbands Fifa, welchen sich die beteiligten Vereine unterworfen haben, beinhalten verpflichtende Verfahrensordnungen und Kammern für die Beilegung von Streitigkeiten bei inernationalen Transfers.“

Versichern Fußballprofis eigentlich ihre Beine?

„Viele Fußballprofis haben spezielle Versicherungen, die auf ihre besonderen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Nach Medienberichten haben auch manche Fußballer ihre Beine versichert. Die breite Masse dürfte das nicht betreffen.“

Wie viele Juristen beschäftigt so ein Fußballverein eigentlich?

„Das ist sehr unterschiedlich. Manche Bundesligisten haben mehrere angestellte Juristen, andere beschäftigen keinen und holen sich im Bedarfsfall Rechtsrat von spezialisierten Anwaltskanzleien ein.“

Die soziale Logik des Likes: Eine Twitter-Ethnografie

Johannes Paßmann, Universität Siegen. Die Arbeit ist 2018 bei Campus erschienen.

Johannes, worum geht es in deiner Dissertation in 280 Zeichen?

„Unsere heutigen Social-Media-Plattformen sind deshalb groß geworden und geblieben, weil sie „Plattform-Einheiten“ wie Likes, Follower und Retweets haben, die oft fast wie eine Währung funktionieren. Die Dissertation erforscht Gebrauchsweisen dieser Plattform-Einheiten.“

Wie sieht Feldforschung unter dem Twitter-Volk aus?

„Ausgangspunkt der Arbeit ist, dass man Praktiken, wie die des Likens, dann besonders gut erforschen kann, wenn man sie selbst erlernt. Deshalb habe ich selbst einen pseudonymen Twitter-Account aufgebaut, mit dem ich an der Twitter-Community in Deutschland teilgenommen habe, die versucht, möglichst viele Likes für ihre Tweets zu bekommen. Besonders interessant war dabei die ethnografische Forschung auf den persönlichen Treffen der Twitter-Community. Denn die persönlichen Treffen bringen die Online-Interaktion häufig in eine Krise, weil sie in einem anderen Medium stattfinden. Was online zum Beispiel als prestigeträchtig gilt, kann man gut daran sehen, was die Teilnehmerinnen bei den persönlichen Treffen am meisten ärgert oder nervös macht. Da ich an diesen Treffen selbst teilgenommen und diese Gefühle durchlebt habe, konnte ich darüber dann auch wieder ganz andere Interviews mit den anderen Teilnehmerinnen führen.“

Bist du nach der intensiven Beschäftigung mit Twitter nach wie vor gerne dort aktiv oder schreibst du mittlerweile lieber Briefe?

„Ich denke, dass Twitter teilweise ähnlich funktioniert wie die allgemein akzeptierten Alltagsdrogen Zucker oder Koffein. Howard S. Becker erklärt das in seinem Aufsatz ‚Becoming a Marihuana User‘ damit, dass man eine bestimmte Genusstechnik auch sozial erlernt. Beim Twittern gehört neben dem ‚Social High‘ des Schreibens, Lachens und Geliket-Werdens auch dazu, es zum Instrument der Alltagsverarbeitung zu machen, was wiederum die eigene Wahrnehmung prägt. Solche sozialen Praktiken des Genießens ändern sich aber. Irgendwann kann das ins Gegenteil schwenken und man wird sensibel für die Erfahrung, einen Artikel zu lesen, ohne sich die Frage zu stellen, wie man ihn kommentieren soll. Ich habe mir deshalb nach zehn Jahren wieder ein Zeitungsabo zugelegt. Als ich die erste Ausgabe zu Hause am Wohnzimmertisch gelesen habe, dachte ich: ‚Herrlich, nur dieses Stück Papier und ich, keine Rankings oder Benachrichtigungen, einfach nur eine gut begründete Position, über die ich allein nachdenken kann.‘“

Der Vegetarismus in der Antike im Streitgespräch

Pedro Ribeiro Martins, Universität Göttingen. Die Arbeit ist 2017 bei de Gruyter erschienen.

Vegetarier, Veganer, Frutarier – gab es in der Antike auch schon verschiedene Formen der fleischlosen Ernährung?

„Ja. Obwohl die Begriffe Vegetarismus und Veganismus erst in der Moderne erfunden wurden, gab es bereits in der Antike verschiedene Formen der Fleischenthaltung. Die meisten waren bei ‚barbarischen‘ Völkern – also in den Augen der Griechen bei Nicht-Griechen – zu finden. Im mythischen Bereich gab es die Lotophagen, die nur Lotusblätter gegessen und ein friedliches Leben geführt haben. Historische Quellen berichteten von Rhizophagen (Wurzel-Essern), Spermatophagen (Samenessern) und Hylophagen (Holzessern). Diese „Vegetarier“ wurden meistens durch die geographischen Konditionen ihrer Umgebung zu solchen Ernährungsweisen gedrängt.“

Was waren in der Antike die Beweggründe der Menschen, sich für diese Ernährungsweise zu entscheiden?

„Grob gesagt kann man die Beweggründe in den philosophischen Kreisen, die sich damit beschäftigt haben, in drei Bereiche unterteilen: religiöse bzw. metaphysische Gründe, wie die pythagoreische Lehre der Seelenwanderung; asketische Gründe bzw. Argumente in Bezug auf die Gesundheit, und ethische Beweggründe, wie die Frage der Gerechtigkeit gegenüber Tieren. Meistens wurden Elemente aller dieser Bereiche in einer Argumentation vermischt. Porphyrios beispielsweise, ein neuplatonischer Philosoph, glaubte, dass die Menschen sowohl durch die Gewaltlosigkeit gegenüber den Tieren als auch durch die Nicht-Befleckung des Körpers mit Fleisch in der Lage waren, Gott ähnlicher zu werden. Es ist schwierig für uns, genau zu verstehen, was er meinte, aber genau deswegen ist es wichtig, dass wir solche Argumente in ihren Kontexten analysieren, um die Bezüge mit anderen philosophischen Lehren besser einordnen zu können.“

Der Titel deiner Dissertation legt nahe, dass vegetarische Ernährungsweisen ähnlich kontrovers diskutiert wurden wie heute. Was zeichnet den Streit deiner verwendeten Hauptquelle aus?

„In meiner Arbeit habe ich zwei Streitgespräche, die im Buch ‚De Abstinentia‘ des Porphyrios überliefert sind, analysiert. Durch den Vergleich von zwei fragmentarischen Quellen, die in ‚De Abstinentia‘ vorhanden sind, habe ich versucht, eine vorhandene Diskussion zwischen einem sonst unbekannten Klodios aus Neapel, der ‚Gegen die Vegetarier‘ geschrieben hat, und Theophrast, dem Nachfolger von Aristoteles, zu identifizieren und auszuwerten. Klodios verwendete mehrere Argumente gegen den Vegetarismus, die auch heutzutage zu hören sind: etwa, dass Vegetarier auch keine Milch trinken oder Honig essen sollten, wenn sie die Tötung von Tieren für falsch hielten. Theophrast sagt dazu, dass die Menschen und die Tiere ein Abkommen abschließen und die Tierprodukte als Belohnung für das Kümmern und den Schutz der Menschen verstanden werden sollten.“

Hat Klodios als Gegner des Vegetarismus damit „vegane Argumente“ in die Diskussion eingeführt?

„Aus meiner Perspektive ist es vorteilhafter, im Auge zu behalten, dass solche Auseinandersetzungen über Fleischessen in der Antike einen anderen religiösen, sozialen und ökonomischen Kontext als unseren hatten. Man kann jedoch schon sagen, dass sich die Menschen damals wie heute um ihre ethische Positionen und Lebenseinstellungen auch in Bezug auf ihre Ernährungsweise ernsthaft gestritten haben.“

Dialektik des Geheimen

Florian Hadler, Universität der Künste Berlin. Die Arbeit ist 2018 bei V & R Unipress erschienen.

Auch wenn es ums Geheime geht: Verrätst du uns trotzdem, womit sich deine Dissertation beschäftigt?

„Die Arbeit untersucht Konzepte und Theorien des Geheimen in ganz unterschiedlichen Feldern wie etwa Philosophie, Theologie und Systemtheorie. Was das Geheime ausmacht, wird in Dossiers erörtert, die jeweils eigene Themen des Geheimen behandeln: Die Geschichte der Beichte, das Konzept des Unbewussten oder die Figur des Detektivs sind dafür Beispiele. Die Arbeit stellt heraus, dass das Geheime eine grundlegende Bedingung menschlichen Weltbezugs ist, gerade weil es sich in einzelnen Phänomenen äußert, die aber dann doch in ihrem Kern miteinander verbunden sind.“

Du hast eine Lehrveranstaltung zum Thema öffentliche Geheimnisse abgehalten … Wie können Geheimnisse denn öffentlich sein?

„Öffentliche Geheimnisse klingen zwar wie ein Widerspruch an sich, aber es kommt ganz darauf an, mit was für einem Geheimen man es zu tun hat. Der urbane Raum ist durchzogen mit kodierten Zeichen und ‚gesperrten‘ Orten, deren Entschlüsselung und Verfolgung jedem möglich ist. Dabei geht es beispielsweise um Subkulturen und Milieus, die sich einem schnellen Eintritt verschließen, oder es geht um Wege und Passagen, die für die Öffentlichkeit nicht direkt zugänglich sind. Außerdem gibt es ja auch ganz offensichtliche Architekturen des Geheimen, wie die Schließfächer einer Bank oder das BND-Gebäude. Nur weil ein Geheimnis öffentlich sichtbar ist, muss es ja nicht öffentlich einsehbar sein.“

Sind uns Geheimnisse in Zeiten von Facebook-Datenskandalen wirklich noch wichtig?

„Ich glaube nicht, dass die Digitalisierung etwas an der grundsätzlichen Bedeutung des Geheimen ändert. Was sich natürlich verändert, ist die Verfügbarkeit und Übermittlung von Informationen und damit auch die gesellschaftliche Brisanz der Zugriffsrechte auf diese Daten, aber das hat lediglich Auswirkungen auf diejenigen Geheimnisse, die sich prinzipiell mitteilen lassen und auch bereits mitgeteilt wurden. Es gibt ja noch eine ganze Reihe weiterer Geheimnisse, die sich einer digitalen oder analogen Mitteilung entziehen, und das sind – zumindest in der Geschichte des Geheimen – die eigentlich interessanten Geheimnisse. Facebook ändert daran nichts.“