„Ich lese nicht erst zwanzig Sachen, bevor ich schreibe“

Wir haben mit einem akademischen Ghostwriter gesprochen. Für eine Dissertation braucht er nur ein halbes Jahr. Wie kann das funktionieren?
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Am Anfang war es bloß ein Freundschaftsdienst. Eine Freundin war mit ihrer Masterarbeit überfordert und Daniel Wagner hatte Lust zu helfen. Also hat er die Arbeit geschrieben, zwei Jahre ist das her. Heute schreibt Wagner, 33, noch immer Texte für andere, nur mittlerweile professionell als Ghostwriter für die Agentur Acad-Write. Es ist eine Tätigkeit, die er vor den meisten Leuten verheimlicht, weil er Angst um seinen Ruf hat. Ghostwriter, sagt er, sind in der Gesellschaft eher nicht so angesehen. Daniel Wagner heißt auch nicht Daniel Wagner, die Anonymität ist ihm wichtig. Nur so viel gibt er preis: Studium der öffentlichen Betriebswirtschaftslehre an einer niedersächsischen Universität, Hauptberuf Unternehmensberater, Promotion über Rural Development und Public Management. Mittlerweile hat er vier Doktorarbeiten verfasst, auch unter Ghostwritern, wie er sagt, „die Königsdisziplin“.

Moritz Geier
Freier Autor

Herr Wagner, herzlichen Glückwunsch, Sie haben im Februar letzten Jahres promoviert! Wie lange haben Sie für die Arbeit gebraucht?

Daniel Wagner
Interviewpartner

 Danke, fünf Jahre.

Fünf Jahre?

Ich weiß, was Sie denken: Für die eigene Arbeit nimmt er sich fünf Jahre Zeit, als Ghostwriter schreibt er sie in einem halben Jahr. Aber das hat gute Gründe, nicht nur, dass ich in dieser Zeit zwei Mal Vater geworden bin und ein Haus gebaut habe. Am Anfang habe ich die Arbeit einfach noch ganz anders geschrieben, erst durch das Ghostwriting für andere bin ich schneller und effektiver geworden. Die emotionale Bindung ist nämlich weg, und das ist etwas Gutes.

Das müssen Sie erklären. 

Emotionen können gut sein, aber nur an den richtigen Stellen. Bei meiner Diplomarbeit habe ich am Anfang jeden Satz 23 Mal umgestellt, weil ich mir dachte, er klingt so besser, aussagekräftiger, weiß der Teufel was. Mittlerweile gehe ich auch bei eigenen Projekten nicht mehr so ran, dass ich mich darin emotional verkeile.

Die Lösung für alle Doktoranden, die in ihren Arbeiten feststecken, heißt also: einfach weniger Perfektionismus an den Tag legen?

Ein mir bekannter Professor hat mal gesagt: Eine wissenschaftliche Arbeit ist kein Lebenswerk, sondern der Nachweis, dass man wissenschaftlich arbeiten kann. Viele gehen eine Promotion aber an, als ob es ein Lebenswerk wäre. Die sagen, das muss alles perfekt sein, nach dem Motto: Ich lass mir die in Ziegenleder einbinden und tackere sie mir noch an die Wand. Aber zu denken, man reißt mit seiner Arbeit die Welt um – das bringt einem eher nicht so viel. Weniger perfektionistisch zu sein heißt aber nicht, dass ich als Ghostwriter schlechter arbeite, im Gegenteil. Ich arbeite einfach effizienter.

Was heißt das ganz konkret, effizientes Schreiben?

Lies dir einen Satz nicht mehr als eineinhalb Mal durch. Wenn er geschrieben ist, ist er geschrieben – ich lasse ihn stehen, wenn er nicht völliger Murks ist. Da vertraue ich meinem Geist. Auch die Einteilung der geistigen Frische spielt eine Rolle. Wenn ich aufstehe und frisch bin, mache ich mich eher an die schwierigen Sachen, die leichten verlege ich in die Abendstunden. Außerdem lese ich nicht erst zwanzig Sachen und fange dann an zu schreiben, vielmehr kombiniere ich das Lesen und Schreiben und damit fahre ich ziemlich gut. Es gibt aber noch andere Gründe für meine Effizienz.

Welche?

Vor allem Routine und Spezialisierung. Ich schreibe alle meine Arbeiten in einem bestimmten Bereich, Betriebswirtschaftslehre, manchmal sozialwissenschaftliche Themen. Es sind quantitative Arbeiten, Statistik, ab und an Rechnungswesen, da habe ich Erfahrung. Ein Beispiel: Wenn man eine Doktorarbeit oder andere Arbeit schon öfter geschrieben hat, weiß man, wo es sich lohnt, tiefer einzusteigen, und an welchen Stellen man gut mit einer Flughöhe von siebzig, achtzig Prozent durchkommt. Und man legt sich natürlich Muster an. Es gibt ja Dinge, die immer wieder gleich sind: Wenn ich zum Beispiel bei quantitativen Arbeiten etwas über Gütekriterien schreibe oder etwas über die Stichprobe, allgemeine Dinge, da greife ich jedes Mal auf Rücklagen zurück.

Sie plagiieren sich selbst?

Nein, ich ändere das natürlich entsprechend, sonst würde das jede Plagiatsprüfungsmaschine finden. Rücklagen haben heißt auch Literaturquellen haben, damit ich nicht jedes Mal neu nachblättern muss, auf welcher Seite was steht. Ab und zu muss ich die Quellen natürlich auf den neuesten Stand bringen.

Schreiben Sie mehrere Arbeiten gleichzeitig?

Ja, Spitzenwert waren mal sechs oder sieben Arbeiten. Das waren aber nicht alles Dissertationen.

Da kommt man doch durcheinander.

Nein, das geht. Aber viel mehr könnte ich nicht schaffen. Herausforderungen haben für mich einen großen Reiz, das ist ein bisschen wie eine Droge. Ich treibe es auf die Spitze und bleibe dadurch agil und flexibel – und daran ergötze ich mich. Ich bin der Meinung, wenn man leistungsfähig ist, und das bin ich, dann muss man das auch immer wieder trainieren.

Besteht nicht die Gefahr, dass unter der Quantität die Qualität der Arbeiten leidet?

Das Risiko ist da. Aber ich kann mein Leistungsvermögen abschätzen. Wenn ich merke, ich kann einem Projekt nicht gerecht werden, dann lehne ich das ab.

Wie viele Arbeiten haben Sie in dem halben Jahr geschrieben, in dem Sie eine Doktorarbeit geschafft haben?

Zehn, zwölf Arbeiten. Eine Masterarbeit, der Rest Bachelorarbeiten oder Teile davon und Hausarbeiten. Die flutschen mal so nebenbei.

Wie geht das eigentlich alles „so nebenbei“? Sie arbeiten ja hauptberuflich in Vollzeit.

Bei meinem Job als Unternehmensberater bin ich sehr flexibel und selbstbestimmt. Am Nachmittag arbeite ich da auch mal an meinen Ghostwriter-Texten. Mein Chef ist damit einverstanden, solange meine Arbeit für das Unternehmen nicht leidet. Ich zwinge mich so zu Effizienz. Ansonsten arbeite ich abends und am Wochenende ein paar Stunden. Ich habe auch schon mal eine ganze Masterarbeit an einem Wochenende geschrieben, zwei Nachtschichten eingelegt. Da braucht man schon eine hohe Schmerzgrenze. Aber ohne Fleiß kein Preis.

Wie viel verdienen Sie denn als Ghostwriter?

Ich rechne für mich nach Zeitaufwand ab und berechne zwischen 30 und 40 Euro für eine Stunde. Aufträge nehme ich nur an, wenn ich den Aufwand abschätzen kann. Für eine kleinere Masterarbeit gibt es etwa 2500 Euro, für eine Bachelorarbeit 1000 bis 1800 Euro. Bei kleineren Dissertationen ohne Empirie können es bis zu 10.000 Euro sein. Bei den Doktorarbeiten, die ich bisher geschrieben habe, war immer schon ein bisschen Vorarbeit geleistet, Literaturanalyse, das Konzept stand im Großen und Ganzen, da waren es weniger, die am Ende bei mir ankommen. Man ist dann aber dennoch oft bei einem höheren Stundenlohn.

Bekommen Sie mit, wie die Arbeiten abschneiden?

Bei den Promotionsarbeiten habe ich es immer mitbekommen.

Und?

Immer bestanden. Beim ersten Mal denkt man sich natürlich schon noch, o Gott, hoffentlich ist alles gut gelaufen.

Übt das Arbeiten im Geheimen auch eine gewisse Anziehungskraft aus?

Nein, überhaupt nicht. Die Anonymität, das Geheime ist nur Mittel zum Zweck, um gesellschaftlich nicht in einem komischen Licht da zu stehen, das Standing des Berufsbildes ist in der Gesellschaft einfach nicht gut.

Haben Sie dafür Verständnis?

Ja, schon. Ein Professor etwa kann das ja nicht gut finden, da habe ich vollstes Verständnis. Ansonsten gilt: Geschmäcker sind verschieden. Der eine denkt eher engstirniger, schiebt Menschen in Schubladen; der andere ist eher gechillt und offen, den juckt das nicht so.

Gar kein schlechtes Gewissen?

Nein, gar nicht. Da bin ich eher schmerzbefreit.

Man könnte es auch so sehen: Sie verschaffen jemandem, der es sich leisten kann, einen unfairen Vorteil gegenüber anderen. Das könnten dann später – überspitzt gesagt – Leute sein, die Ihre Kinder unterrichten oder in verantwortungsvollen Positionen Entscheidungen über andere Menschen fällen.

Da ist schon etwas dran und vollständig kann ich diese Argumentation auch nicht entkräften. Aber: Eine Promotion ist letztendlich auch nicht der Schlüssel zur Weisheit. Jemand, der bis dahin gekommen ist, hat schon auch selber Leistung erbracht. Ghostwriting kann bestimmte Dinge leisten, aber es hat auch seine Grenzen. Ein Vollidiot kann sich damit nicht durch das komplette Studium schummeln.